Europäischer außenwirtschaftlicher Ausgleichs- und Stabilitätspakt/Makroökonimsches Scoreboard

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Die aktuelle Entwicklung beweist, dass sich die Maastrichtkriterien als untauglich erwiesen haben, um eine Schuldenkrise wie die gegenwärtige zu verhindern, da deren Ursache nicht nur auf schlechte Haushaltspolitik, sondern wesentlich auf ökonomische Ungleichgewichte zurückzuführen ist. Auch zwischen den europäischen Regierungen und Institutionen wird daher diskutiert, welche Indikatoren am besten darüber Auskunft geben, dass sich gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichte herausbilden. In der Diskussion ist ein Datenset, welches Auskunft über die wirtschaftliche Situation der Volkswirtschaften gibt. Auch bei diesem sogenannten Scoreboard wird dem Leistungsbilanzsaldo eine zentrale Rolle beigemessen. Darüber hinaus sind aktuell die Nettoauslandsposition, der reale effektive Wechselkurs basierend auf Lohnstückkosten, die Lohnstückkosten selbst, der Anteil des Exportmarktes und weitere Indikatoren in der Diskussion (EU-Kommission (2011a-f).

Nach Aussagen der Europäischen Kommission sollen den Indikatoren keine Schwellenwerte zugewiesen werden, bei deren Überschreitung ein automatisches Vertragsverletzungsverfahren in Gang gesetzt wird. Vielmehr dienen sie den politischen Entscheidungsträgern als Orientierungspunkt bei der Bewertung der wirtschaftlichen Lage. Am Ende soll immer eine politische Bewertung der konkreten Situation stehen, bevor ein sogenanntes „Ungleichgewichtsverfahren“ eingeleitet wird. Anders als beim „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ werden beim Indikator „Leistungsbilanz“ nicht nur negative Abweichungen beachtet. Auch Leistungsbilanzüberschüsse sollen analysiert und politisch bewertet werden. Am Ende könnte es auch in diesem Fall zu einem Vertragsverletzungsverfahren mit entsprechenden Empfehlungen an die Mitgliedsländer kommen.

Der Versuch, mittels eines breiteren Indikatorensets ein besseres Abbild der realen wirtschaftlichen Verhältnisse zu bekommen, ist ein erheblicher Fortschritt. Insbesondere da eine symmetrische Sicht auf Defizite und Überschüsse in Bezug auf den Indikator „Leistungsbilanz“ angestrebt wird. Jedoch zeigen sich auch hier erhebliche Probleme sowohl in Bezug auf die Datenbeschaffung als auch hinsichtlich der Dateninterpretation. Vor allem stellt sich die Frage, welche Konsequenzen sich tatsächlich ergeben, wenn beispielsweise Länder wie Deutschland über längere Zeit Leistungs-bilanzüberschüsse vorweisen. Bislang fehlt jeder Mechanismus um Deutschland darauf verpflichten zu können, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um diese Überschüsse abzubauen. Wahrscheinlicher ist, dass sich innerhalb der europäischen Union die deutsche Sicht durchsetzt, wonach die Wettbewerbs-fähigkeit der anderen Länder verbessert werden muss.

Mit ihrem „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ hat die Bundesregierung bereits gezeigt, was sie unter der Beseitigung makroökonomischer Ungleichgewichte versteht. Unter dem Deckmantel einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit sollen Sozialstandards geschleift und Löhne gedrückt werden. Im Text der Bundes-regierung heißt das dann Abschaffung von Lohnindexierung, Stabilität der realen Lohnstückkosten oder Anpassung des Rentensystems an die demographische Entwicklung. Damit soll Europa ein Weg aufgezwungen werden, den die dominierenden Wirtschaftsinteressen in Deutschland bereits erfolgreich durchgesetzt haben. Im Verteilungskampf sollen die Beschäftigten gegenüber den Unternehmen institutionell geschwächt werden. Wohin das geführt hat, kann man in Deutschland an der rapide steigenden Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen ablesen.

Solange die Entscheidungsgewalt im Umgang mit makroökonomischen Ungleichgewichten allein beim Europäischen Rat verbleibt, wird durch das dortige starke deutsche Über-gewicht der Scorboardansatz vor allem zu einem weiteren Abbau des Sozialstaats in Europa eingesetzt werden. Dies ist jedoch in keinem Fall ein Weg für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Ein breites Absenken der Löhne innerhalb der Eurozone bedeutet sinkende Kaufkraft und Schwächung der Binnenkonjunktur. Damit wird jedoch dem außereuropäischen Handel eine größere Bedeutung bei der wirtschaftlichen Entwicklung beigemessen. Steigende Wettbewerbsfähigkeit führt in dieser Logik jedoch zu Leistungsbilanzüberschüssen gegenüber dem Rest der Welt. Mit einer solchen Politik werden die Probleme also nur von der europäischen Bühne auf die Ebene der Weltwirtschaft gehoben.

Literatur / Quellen zum Thema

Europäische Kommission (2011 a): The Design of the Scoreboard for the Surveillance of Marcroeconomic Imbalances: Current External Balance and Net Foreign Financial Asset Position, ECFIN/B1/ARES SN (2011) 140505, Brüssel.

Europäische Kommission (2011 b): The Design of the Scoreboard for the Surveillance of Marcroeconomic Imbalances: Export Market Shares, ECFIN/B1/ARES SN (2011) 140472, Brüssel.

Europäische Kommission (2011 c): The Design of the Scoreboard for the Surveillance of Marcroeconomic Imbalances: HIPC, ECFIN/B1/ARES SN (2011) 140467, Brüssel.

Europäische Kommission (2011 d): The Design of the Scoreboard for the Surveillance of Marcroeconomic Imbalances: Unit Labour Costs (ULC), ECFIN/B1/ARES SN (2011) 140522, Brüssel.

Europäische Kommission (2011 e): The Design of the Scoreboard for the Surveillance of Marcroeconomic Imbalances: Real Effective Exchange Rate based on Unit Labour Costs, ECFIN/B1/ARES SN (2011) 140441, Brüssel.

Europäische Kommission (2011 f): The Design of the Scoreboard for the Surveillance of Marcroeconomic Imbalances: Real Effective Exchange Rate based on Unit Labour Costs, ECFIN/B1/ARES SN (2011) 140441, Brüssel.

Heinen, Nicolaus (2011): Makroökonomische Koordinierung. Was kann ein Scoreboard-Ansatz leisten, Deutsche Bank Research, 13. Januar 2011, Frankfurt am Main.