Benutzer:Skyslasher/ACTA Rede 11.02.2012

Aus Piratenwiki Mirror
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Transkript meiner Rede auf der "ACTA ad acta"-Demonstration am 11.02.2012 in Heidelberg

Hallo Leute, Hallo Heidelberg!

Ich bin begeistert! Wir haben in so kurzer Zeit so viele Menschen erreicht, die zeigen wollen dass sie nicht einverstanden sind wie man uns - das Volk - behandelt!

Wir haben heute hier in Heidelberg eine tolle Zusammenarbeit von verschiedenen Organisationen. Occupy Heidelberg, die Junge Linke und die Piratenpartei. Ein riesiges Dankeschön an alle, die hier mitgeholfen haben!

Sämtliche Jugendorganisationen der etablierten Parteien sind gegen ACTA, selbst die Junge Union! So etwas hat es in meiner Erinnerung noch nie gegeben! Das ist unglaublich!

Aber warum sind wir alle heute hier? Was bringt uns alle zusammen? Es ist der nächste Versuch einer Industrie, die ihre Interessen rücksichtslos durchsetzen will. Eine Industrie, die genau weiss, dass sie in wenigen Jahren überflüssig sein kann. Eine Industrie, die festhält an veralteten Geschäftsmodellen, die zu Lasten unserer Gesellschaft gehen. Geschäftsmodelle, die Künstler und Konsumenten benachteiligen.

Ich spreche von der Verwertungsindustrie. Und ACTA, das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, ein multinationales Abkommen, welches offiziell den Kampf gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverstöße normieren soll. ACTA ist der nächste Versuch dieser Industrie, ihre Interessen durchzusetzen.

ACTA schränkt die freie Verbreitung von Informationen ein. ACTA legt unseren Schulen und Universitäten Fesseln an, durch ACTA kann unseren Schulen und Universitäten diktiert werden welches Wissen sie vermitteln dürfen.

ACTA schafft einen Rahmen, in dem es Entwicklungsländern verboten werden kann ihr eigenes Saatgut herzustellen - weil ein Hersteller die DNA des Saatguts patentiert hat. ACTA erlaubt es, lebenswichtige Medikamente in Entwicklungsländern vernichten zu lassen - weil ein Pharmakonzern den Wirkstoff patentiert hat. Die Völker in diesen Ländern müssen zahlen, oder sie müssen sterben! Das ist ein abscheuliches Geschäftsmodell!


Wenn man schaut wie ACTA entstanden ist, erkennt man schnell, wer hier seine Interessen durchsetzen möchte.

ACTA ist ein bislang beispielloser Akt undemokratischen Vorgehens. Im Gegensatz zu allen bisherigen Handelsabkommen zwischen Staaten wurde ACTA, seit über sechs Jahren, komplett im geheimen verhandelt! Bei den Verhandlungen saß die Verwertungsindustrie mit Abgesandten ausgewählter Nationen am Verhandlungstisch.

Es waren keine Entwicklungs- und Schwellenländer beteiligt, nur Länder der Ersten Welt! Sind etwa die Menschen und die Interessen dieser Länder weniger wert als die unseren? Oder warum hat man diese Länder nicht - wie bei all den vorherigen Handelsabkommen auch - mit an den großen Tisch gesetzt? Weil es andere Interessen, unerwünschte Interessen sind!

Es waren auch keine gewählten Vertreter der verschiedenen Nationen an den Verhandlungen beteiligt, es waren abgesandte Bürokraten! Und an dem Verhandlungsergebnis dürfen die Parlamente, die ACTA ratifizieren sollen, keinerlei Änderungen mehr machen!

Das bedeutet für die von uns, dem Volk gewählten Repräsentanten: Hopp oder Top! Ich sage: Dann eben Hopp! Weg damit!

Aber die erste von drei Runde ist schon gelaufen! Im Dezember wurde ACTA bereits vom EU-Rat zugestimmt. ACTA wurde vom EU-Rat als so unwichtig erachtet, dass es seiner Meinung nach auf einer beliebigen Sitzung verabschiedet werden kann. Und das wurde es dann auch, als letzter Tagesordnungspunkt im "Agrar- und Fischereirat"! Ist das nicht irre?

Und über was genau abgestimmt werden soll, dass weiß auch niemand so richtig. Denn ACTA führt neue Rechtsbegriffe ein, deren Definition und Auslegung unklar ist. Denn dies ist ausschließlich in den jeweiligen, nicht öffentlich einsehbaren Sitzungsprotokollen festgehalten! Es ist also für jeden Abgeordneten ein Blindflug über was er entscheiden soll!

Das kann für jeden gewissenhaften Abgeordneten doch nur bedeuten: Da kann ich nicht zustimmen! Und genau das müssen wir unseren Abgeordneten klar machen: Da dürft ihr nicht zustimmen! Aber nicht nur die Art, wie ACTA entstanden ist, ist komplett abzulehnen. Auch beim Inhalt stehen eigentlich nur die Interessen der Verwertungsindustrie im Vordergrund.

Es wird ein antiquiertes System zementiert, dass sich schon lange überholt hat. Ein paar Beispiele.

Ich bin im Urlaub in den USA und kaufe eine DVD oder BluRay. Warum kann ich die auf meinem Gerät zu Hause nicht abspielen? Ich hab' doch dafür bezahlt!

Ich kaufe eine CD im Laden weil ich auf Booklets und den ganzen Anfass-Kram stehe. Unterwegs benutze ich aber immer einen MP3-Player. Warum kann ich einige CDs nicht im MP3 für meinen Player umwandeln und muss mir dann die Songs nochmal online kaufen?

Wer kann sich noch an "Join Me" von HIM vom Album "Razorblade Romance" erinnern? Als diverse Radiostationen den Song nicht komplett abspielen konnten, weil der brandneue Kopierschutz auf dieser CD ihre CD-Player überforderte? Und was war die Konsequenz? Die Radiostationen mussten sich neue CD-Player kaufen!

Dieses antiquierte System zielt darauf ab, Märkte aufzuteilen und Gewinne der Verwertungsindustrie zu maximieren. Der Konsument hat dabei nur Nachteile. Die Vorteile für den Künstler sind marginal, vielleicht sogar negativ. Denn was ist bei dem Desaster mit dem Kopierschutz von HIM hängengeblieben? Ja, der Name der Band, für die ich mir einen neuen CD-Player kaufen musste um die CD zu hören. Und nicht der Name der Plattenfirma die den Kopierschutz verbrochen hat. Nur zur Erinnerung: BMG Entertainment! This was not entertaining - at all!

Die Verwertungsindustrie arbeitet nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung. Sie fördert nur die Künstler, von denen sie sich maximale Gewinne erhofft. Was dabei herauskommt können wir jeden Tag hören und sehen: Mainstream.

Mit dem Internet können sich Künstler vermehrt selber vermarkten, und sind nicht mehr auf die Verwertungsindustrie angewiesen.


Doch ACTA institutionalisiert die Verwertungsindustrie. Die Regelungen und Befugnisse, die dort den Rechteverwertern zugesprochen werden, können nur Konzerne mit Rechtsabteilungen durchsetzen. Der einfache Urheber ist also gezwungen, seine Rechte der Verwertungsindustrie zu überschreiben, wenn er sie vertreten sehen möchte.

Mit einem grundlegend reformierten Urheberrecht, wie es Wissenschaft, Forschung und auch die Piratenpartei schon lange fordern, bräuchte ein Urheber für die Durchsetzung seiner Rechte keine Verwertungsindustrie mehr.


Bereits 2004 wurde die Göttinger Erklärung zum Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft verfasst. Sie ist mittlerweile von hunderten Wissenschaftlern unterzeichnet.

Sie fordern Freien Zugang zu Information und Wissen. Technische Schutzmaßnahmen, die Information aus Gründen der kommerziellen Gewinnmaximierung verknappen, zu tiefgreifenden Kontrollen bis in die Privatsphäre führen und eine sichere Langzeitarchivierung unmöglich machen, empfinden sie als den falschen Weg.

Dieser Weg wird allerdings von ACTA vorgegeben!

Wissenschaft und Forschung nutzen den Stand des Wissens und bauen darauf auf. Ich zitiere Sir Isaac Newton: "Wenn ich weiter geblickt habe, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe." Doch wenn immer mehr Wissen der Gemeinschaft entzogen und von der Verwertungsindustrie eingebunkert wird, gibt es bald keine Riesen mehr, auf denen wir Zwerge stehen können!

Alle Urheber schöpfen aus dem großen Fundus des frei verfügbaren Wissens. Dieses Wissen wurde in Jahrtausenden angehäuft, moderne Forschung an Universitäten vom Steuerzahler finanziert. Daher erscheint es nur logisch, dass Urheber von ihrer Schöpfung auch etwas an die Gemeinschaft zurückgeben sollen.


Doch das derzeitige Patentsystem wird nicht mehr als Vergütungssystem für Urheber gebraucht, sondern als Instrument zur Abschottung von Märkten missbraucht! Ideen aus Patenten werden nicht produktisiert sondern als Waffen in der Schublade gehortet, um im richtigen Moment den innovativen Kleinunternehmer sturmreif zu klagen!

Eine AIDS-Therapie kostet in Europa derzeit zwischen 10.000 und 15.000 Dollar pro Jahr. Die Preise dieser lebensrettenden Medikamente sind nur deshalb so hoch, weil auf ihnen Patentrechte liegen. Mit Hilfe von Spendengeldern und Generika betragen die Kosten in einigen afrikanischen Ländern nur 140 Dollar pro Jahr! Mit ACTA wird dies nicht mehr möglich sein, damit kann nur noch ein Hundertstel der Therapien angeboten werden! 99 von 100 Menschen dürfen dann nicht mehr überleben!

All diese Vorgehensmuster werden mit ACTA zementiert!

Was wir brauchen ist ein faires und ausgewogenes Verhältnis aller Interessen, der Interessen von Urhebern, Verwertern und Konsumenten!


Doch das schlimmste was uns mit ACTA blüht, ist, dass wir alle unter Generalverdacht gestellt werden. Wir alle sind erst einmal böse Raubmordkopierer. Wir(!) müssen das Gegenteil beweisen.

Wenn wir unseren MP3-Player oder Laptop, randvoll mit Musik gefüllt, in den Urlaub mitnehmen, dann könnte dieser bei der Einreise an der Grenze vernichtet werden. Denn wenn der Zoll davon ausgeht, dass die Musik nicht legal erworben wurde, muss man erst einmal das Gegenteil beweisen. Das wird schwierig.

Und bei der Menge an Musik muss das auch nicht mehr ein privater Verstoß sein, sondern kann nach deutscher Rechtsprechung als gewerblicher Verstoß gesehen werden. Und das ist laut ACTA eine Straftat! Das kann bis zu drei Jahre Gefängnis bedeuten!

Damit wird der Staat als Handlanger der Verwertungsindustrie missbraucht! Sie braucht nicht mehr selber teure Verfahren zu führen um festzustellen, ob ein wirklich ein Urheberrechtsverstoß vorlag oder nur eine Privatkopie.

ACTA hat das Potenzial, alle Bürger, die derzeit Musik, Filme, Bücher oder andere urheberrechtlich geschützten Werke auf völlig legale Weise konsumieren, zu kriminalisieren!


Fassen wir zusammen:

  • ACTA benachteiligt die Entwicklungs- und Schwellenländer, sie werden Beute der Verwertungsindustrie
  • ACTA ist auf höchst undemokratische Weise entstanden
  • ACTA ist schwammig formuliert, die konkreten Formulierungen sind geheim
  • ACTA zementiert überholte Urheberechtsmodelle, die hauptsächlich der Verwertungsindustrie nutzen
  • ACTA steht den Forderungen für freie Forschung und Lehre entgegen
  • ACTA fördert den Missbrauch des Patentwesens auf globaler Ebene
  • ACTA wird potenziell alle Konsumenten digitaler Medien kriminalisieren

Aber das wichtigste: ACTA ist noch nicht in Kraft!

ACTA muss von drei Stellen ratifiziert werden: Vom EU-Rat, vom EU-Parlament, und von den einzelnen Nationen. Der EU-Rat hat ja bereits im Agrar- und Fischereiausschuss zugestimmt.

Nach den massiven Protesten in Polen hat Polen die Ratifizierung von ACTA auf unbestimmte Zeit vertagt. Auch Tschechien, die Slowakei und Lettland sind zurück gerudert. Gestern hat auch Deutschland angekündigt, seine Unterschrift erst zu leisten, wenn das EU-Parlament ACTA ratifiziert hat.

Das bedeutet für uns: Das EU-Parlament darf nicht zustimmen!

Ich glaube, dass dies nur eine Hinhaltetaktik ist. Denn es dauert nicht mehr lange, und ein Großteil der Bevölkerung wird bei der Fussball-Europameisterschaft mitfiebern. Ich glaube, dass man versuchen möchte in genau dieser Zeit ACTA durch das EU-Parlament zu schieben. Denn im Fussballrausch demonstriert man nicht gerne.

Das dürfen wir nicht zulassen! Keine Zustimmung im Windschatten der Fussball-EM!

Ich bin verdammt stolz auf euch, dass ihr alle hier seid! Wir haben heute schon einiges erreicht! Und wir werden in Zukunft noch mehr erreichen! Wir dürfen nur nicht nicht aufhören unbequem zu sein, und wir dürfen nie aufhören für unsere Freiheiten zu kämpfen!

Mein Name ist Andreas Hahn, und ich bin Pirat, und ich bin verdammt stolz auf euch!