Benutzer:Entropy/Parteirat

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Für den BPT14.2 wurde der Antrag PPEU Vertreter durch Parteirat wählen eingereicht, der eine bedeutende Strukturänderung im Bundesverband einführen soll. Der Antrag hat eine lange Vorgeschichte und ist eine Synthese aus verschiedenen Ideen. Am 30.5 wurde ihm mit großer Beteiligung im Mumble der letzte Feinschliff gegeben.

Doch kurz nach der Einreichung hört man von den üblichen Twitter-Nörglern Totschlagargumente, der Antrag wäre "undemokratisch", "ich will eine SMV", "Doppelstruktur", "wir werden entmachtet", "die kleinen LVs werden überstimmt", "dann können wir gleich Politik 1.0 machen" usw. Dass diese Behauptungen haltlos sind, will ich hier begründen.

Die Probleme

Die Bundesvorstände hatten in den letzen Jahren nur eine kurze Halbwertszeit, bis es große Streits, Shitstorms und Rücktritte gab. Es ist kein Wunder, dass der Bundesvorstand massiv unter Druck und im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, da er das einzige öffentlichkeitswirksame Organ auf Bundesebene ist, dem sämtliche Aufgaben des Tagesgeschehens obliegen. Auch wenn es viele fähige und vernünftige Mitglieder in der Partei gibt, schliessen die meisten schon aus Selbstschutz die Kandidatur von vornherein aus. Jedes mal gibt es eher einen Ansturm von Narzissten und ewigen Verlieren, die unbedingt in den BuVo wollen.

Die Bundesparteitag hat sich mit seinem weitgehenden Strukturkonversatismus praktisch handlungsunfähig gemacht. Die BPTs sind zu grotesk aufwendigen und teuren Riesenveranstaltungen ausgeufert, die höchstens zwei Mal pro Jahr stattfinden können. Innerhalb von eineinhalb Tagen müssen dann mit enormen Zeitdruck sämtliche wichtigen Einscheidungen durchgedrückt werden. Die Teilnehmer sind angesichts mangelnder Mechanismen zur Vorauswahl von zu behandelnden Anträgen kaum vorbereitet. Für eine ausgiebige Debatte bleibt keine Zeit. Man ist schon froh, überhaupt einen Beschluss zu haben, als gar keinen. Viele nehmen eher teil um andere Mitglieder zu sehen, als wohlinformiert abzustimmen und folgen dann einfach der Masse der Stimmkarten (LeBon hätte sich gefreut), anstatt sich zu enthalten - man will ja auch mal etwas sagen können. Die folge sind scheinbar willkürliche und überraschende Bauchentscheidungen, die offenbar jegliche vernünftigen Argumente ignorieren. Zusätzlich kastriert sich der BPT unnötig selbst, indem er keine Änderungsanträge zulässt, obwohl dies rechtlich möglich wäre. Erst nach dem BPT dämmert manchen, was sie da ungelesen beschlossen haben. Es ist dann bequemer, die Flucht nach vorne zu ergreifen, indem sie die Beschlüsse rechtfertigen und als in Stein gemeisseltes Heiligtum betrachten, statt sich die eigene Inkompetenz einzugestehen und die Beschlüsse zu hinterfragen.

Die Wahl der BuVo-Mitglieder gleicht dann ebenfalls einem Glücksspiel. Weitgehend unbekannte Kandidaten können mittels weniger ausgeloster Fragen kaum hinreichend kennengelernt werden. Deren frühere Interviews und Podcasts beachtet wie die Anträge kaum einer. Das eingesetzte Approvalwahlverfahren, das zu taktischem Wählen zwingt, tut dann sein übrigens und katapultiert Konsenskandidaten, die am wenigsten polarisieren, ins Amt. So haben Unbekannte, die eine nette Vorstellungsrede halten, und noch nirgendwo durch frühere Amtstätgikeit angeeckt sind, die besten Chancen. Die gesamte Vorstellung und geheime Urnenwahl der Kandidaten für einen gerade mal 7-Köpfigen Vorstand füllt bereits einen BPT nahezu vollkommen aus.

Dazu kommt noch das klassische Problem, dass die Mitgliederversammlung BPT nicht repräsentativ für die Mitglieder ist. Die LVs in der Nähe des Tagungsorts sind stets stärker vertreten. Mit einer Vertreterversammlung hätte man dieses Problem, und die unberechenbare Grösse und Unordnung jedenfalls nicht bzw. weniger. Aus dem Parteiengesetz ergibt sich sogar die Pflicht, ab einer gewissen Grösse und Eben eine Vertreterversammlung einzuführen, um die Mitglieder vor Ort angemessen beteiligen zu können. Daher kann definitiv nicht von Basisdemokratie oder demokratischeren Strukturen als in Altparteien die Rede sein.

Einige Mitglieder wünschen sich von zu Hause (Basisentscheid,SMV) oder per dezentralen Urnen an Wahlen beteiligen zu können. Wenn man aber dafür keinen dezentralen BPT organisiert (es fehlt die Erfahrung), wäre dies PartG-widrig, da nur der Parteitag solche (geheimen) Wahlen durchführen darf.

Kurz: der BPT ist ein denkbar schlechter Ort um wichtige Entscheidungen zu treffen. Noch weitere Ämter zu besetzen ist realistisch nicht durchführbar. Es ist jedoch fraglich, ob gerade einmal 7 Personen, von denen ein Teil überwiegend Verwaltungsämter ausfüllt, politisch repräsentativ für die Partei sein kann. Es kommt immer wieder die Forderung auf, der BuVo solle nicht rein verwalten, sondern auch politisch sein. Politisch ist er ohnehin. Das PartG gibt ihm extra diese Kompetenz (§11 Abs. 3) und die Satzung schränkt dies nirgendwo ein, d.h. er darf alles, was nicht der BPT macht. Schon die Einberufung (Ort,Zeit,TO in Einladung) sind ein Politikum, genauso wie die Freigabe von Pressemitteilungen, Wahl von Beauftragten und Vertretern (PPEU/I) usw. Primär auf Grund ihrer politischen Einstellung wurde aber nur ein Teil des BuVo gewählt.

Daher wäre es angemessen, den BuVo durch mehr politische Ämter breiter aufzustellen und für wichtige Entscheidungen die Verantwortung auf mehrere Personen aufzuteilen. Die Wahl von weiteren Ämtern wäre jedoch aus o.g. Gründen nicht praktikabel und unfair. Es wäre auch nicht sinnvoll, alle Tagesgeschäfte in einem sehr grossen Gremium zu entscheiden, da der Kommunikationsaufwand unverhältnismässig mit der Grösse steigt.

Die Lösung: der Parteirat

Das PartG sieht in §11 Abs. 4 eine Lösung vor, in der ein großer Vorstand aus seiner Mitte einen geschäftsführenden Vorstand wählen kann (Präsidium), der sich um das Tagesgeschäft kümmert. Andere Parteien schaffen es mit diszpliniertne Vertreterversammlungen und Abnicken von vom Vorstand vorgeschlagenen Kandidaten einen sehr großen Vorstand zu wählen. Da aber der Bundesvorstand der Piratenpartei nur vom BPT gewählt werden kann und die Größe des BuVo aus praktischen Gründen begrenzt ist, ist eine alternative Lösung nötig.

Das PartG ermöglich eine solche Lösung mit Hilfe von §12 (Parteiausschüssen), welche von vielen Parteien genutzt wird (u.a. SPD, Grüne, Linke, CDU).

Statt einem großen BuVo ist der Parteirat einfach ein Organ, dass aus dem BuVo (quasi Präsidium) und weiteren Vertretern (quasi Beisitzern) der Landesverbände besteht. Diese Vertreter, deren Anzahl je nach Grösse des Landesverbandes zwischen 1 und 4 beträgt, können aber in aller Ruhe von der Landesparteitagen gewählt werden. Die Landesparteitage sind auf Grund kleiner Entfernungen repräsentativer, und auf Grund weniger Teilnehmern in der Regel handlungsfähiger und gesitteter. Sie können häufiger zusammentreten um Ämter neu zu wählen.

Dem Parteirat werden einige wichtige Entscheidungen vorbehalten, so dass der BuVo diese nicht mehr wie bisher alleine beschliessen darf, sondern im größeren Gremium entschieden wird. Dazu gehört mindestens die Wahl der PPEU-Delegierten und die Einberufung des BPT. Weitere Kompetenzen werden durch die optionalen Module festgelegt (Geschäfte über 10T EUR, Freigabe von PMs, Beauftragungen zur Öffentlichkeitsarbeit, Einbringen von Basisentscheiden). Der BuVo kümmert sich weiter ums Tagesgeschäft, kann aber auch bei kontroversen zeitkritischen Entscheidungen die Meinung des Parteirats einholen.

Der Parteirat ist also kein Gremium neben dem BuVo, sondern ein erweiterter BuVo.

Der Parteirat ist kein Länderrat oder Finanzrat

Es gibt andere Konzepte namens Länderrat, Piratenrat oder Finanzrat, die mit dem Parteirat kaum etwas zu tun haben.

Die wesentlichen Unterschiede sind:

  • der Parteirat ist kein Aufsichtsgremium: es wird nicht noch mehr Druck auf den BuVo ausgeübt, sondern Verantwortung auf mehr Schultern verteilt. Der BuVo ist teil des Parteirats.
  • der Parteitag hat eigene Kompetenzen: anders als ein Finanz- oder Länderrat, der nur beraten oder Veto eingelegen könnte, hat der Parteirat gewisse eigene Aufgaben, über die er statt dem BuVo entscheidet.
  • der Parteirat ist repräsentativ: die Anzahl der Vertreter ist grob proportional zur Anzahl der Stimmberechtigten des LV (jeweils 1 Grundmandat), wie es das PartG §13 vorschreibt. In den anderen Konzepten hat jeder LVs das gleiche Stimmgewicht und bevorzugt daher kleine LVs überproportional (PartG-widrig). Durch das Grundmandat sind dennoch im Parteirat kleine LVs noch etwas bevorteilt (116 Mitglieder pro Vertreter für HB, ca 700 für NRW).
  • die Vertreter sind von der Basis gewählt, nicht von Landesvorständen. Es ist die gleiche Basis, die theoretisch auch den BuVo am BPT wählen könnte. Die Landesvertreter haben idR besseren Kontakt zu den Mitgliedern vor Ort und können dessen Wünsche in den Parteirat einbringen.

Die Wahl der PPEU-Delegierten

Die PPEU-Delegierten haben keine besondere Macht, da die PPEU nicht mal eine europäische Partei ist (nur europäischer Verein), nur eine Mandatsträgerin im EU-Parlament sitzt und alle Entscheidungen für diese nur unverbindlich sind. Eine aufwendige Wahl der Delegierten per Urnen-Basisentscheid wäre unverhältnismäßig. Die Wahl alleine durch den BuVo hingegen kaum repräsentativ. Der BPT hat für eine solche Wahl kaum Zeit. Die LPTs könnten die Delegierten nicht wählen, da es viel mehr LVs als zu wählende Delegierte gibt.

Als bester Kompromiss erscheint also die Wahl durch den Parteirat.

Nicht mehr Bürokratie

Der Bundesvorsitzende hat die Aufgabe, sowohl zu BuVo-Sitzung als auch Parteiratssitzungen einzuladen. Diese können einfach wie üblich im Mumble oder Telko stattfinden und die Abstimmungen elektronisch erfolgen. Die dafür notwendige Infrastruktur gibt es längst. Ggf. kann 1-2x pro Jahr auf ein RL-Treffen des Parteirats stattfinden, z.B. im Rahmen des BPTs oder anderer Parteiveranstaltungen.

Wenn es ein entsprechender Beschluss notwendig ist, würde der BuVo einfach den Parteirat einberufen und voraussichtlich gleichzeitig noch eine BuVo Sitzung, um restliche Beschlüsse zu fassen.

Delegiertenprinzip

Der Parteirat ist keine Abkehr von der Mitgliederversammlung. Der BPT ist weiterhin das höchste Organ. Genauso wie der BuVo besteht der Parteirat aus gewählten Vertretern. Es ist nicht nachvollziehbar, warum ausgerechnet der BuVo mehr legitimiert oder demokratischer gewählt sein sollte.

Warum nicht Basisentscheid/SMV?

Es gibt Entscheidungen,

  • die man nicht allen Mitgliedern zumuten kann (Mikromanagement),
  • die besonders schnell getroffen werden müssen,
  • die tiefe Sachkenntnis und ausgiebige Debatte erfordern.

Für solche Entscheidungen ist es sinnvoll, ein schnelles repräsentatives Gremium zur Verfügung zu haben. In Basisentscheid (oder SMV) würde eine Entscheidung mindestens einen Monat dauern. Wenn man die Mitglieder ständig mit Unmengen von nebensächlichen Abstimmungen überlasten würde, würde die Akzeptanz des Instruments sinken.

Das schliesst jedoch nicht aus, das die Basis mit Hilfe von Basisentscheid dem Parteirat oder BuVo weitere Vorgaben macht, oder dass der Parteirat/BuVo die Meinung der Basis per Basisentscheid einholt.

Warum nicht per BuVo-GO?

Einige Kandidaten schlagen vor, dass den Landesverbänden per BuVo-Geschäftsordnung ein Vetorecht eingeräumt werden solle, und daher ein Parteirat unnötig wäre. Dies ist ein großer Irrtum.

  1. Eine solche Regelung wäre ein rein freiwillige Leistung ohne rechtliche Verbindlichkeit. Eine Mehrheit im Bundesvorstand könnte sich jederzeit ohne rechtliche Konsequenzen darüber hinwegsetzen. Die GO hat anders als die Satzung keine Bindungswirkung für die Organe der Partei. Darüber hinaus könnte der BuVo ohnehin nicht an die LaVo-Beschlüsse gebunden werden §15(3) PartG. Die einzige Möglichkeit rechtswirksam den Vorstand an Regeln zu binden, ist über eine eindeutige Satzungsregelung.
  2. Der Parteirat als "erweiterter BuVo" ist ein größeres Gremium, dem gewisse besonders wichtige Kompetenzen übertragen werden. Die geheime Wahl von PPEU-Delegierten ist nicht mit einem möglichen Veto durch ein paar LaVos vergleichbar.
  3. Die Parteiratsmitglieder werden explizit für den Parteirat im Bund gewählt. Die LaVo-Mitglieder hingegen als Vertreter und Verwalter eines Landesverbandes. Dies sind sehr unterschiedliche Aufgaben, die idR zur Wahl von anderen Personen würden.
  4. Die Regelung müsste die teils sehr unterschiedliche Grösse der Landesverbände berücksichtigen.

Warum jetzt?

Es gibt immer wieder die 'piratigen' Totschlagargumente, man müsse das Konzept des Parteirats wahlweise

  1. erst mal auf breiter Basis diskutieren,
  2. in den Landesverbänden ausprobieren.

Solche Scheinargumente wurden seit Jahren benutzt um z.B. auch neue Beteiligungsformen oder andere Strukturänderungen zu verhindern. Wie oben ausgeführt, wäre ein Parteirat auf Landesebene sinnlos, da jeder Landesverband überschaubar genug ist um einen repräsentativen, grösseren LaVo selbst zu wählen. Konzepte zur Vergrösserung des BuVo oder besserer Beteiligung der Landesverbände wurden seit mindestens 2008 auf BPTs immer wieder diskutiert. Aus Fehlkonstruktionen wie dem Länderrat oder Finanzrat hat man teils schon Erfahrungen sammeln können. Mit der Gründung der PPEU und den großen Kontroversen bei den Entscheidungen der letzten BuVos ist die Zeit reif, über solch ein Gremium zu reden.