Benutzer:Dr Yes/Integration

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Anmerkungen zur Integration

Die Referenten der #InKonf12, deren Vorträge ich gehört habe, sagten alle, dass der Begriff „Integration“ nicht einheitlich definiert wäre. Dies mag im Sinne einer Nominaldefinition von Integration im politischen oder sozialen Sinne so sein, aber dies ist nicht dem Ausdruck geschuldet, sondern ein Versäumnis des Diskurses zum Thema. Tatsächlich kann „Integration“ leicht allgemein bestimmt werden. Und wenn man dies getan hat, kommen Aspekte der Integrationsproblematik zu tage, die oftmals übersehen werden.

Etymologisch soll sich der Ausdruck von lat. integer ableiten, das selbst auf das altgriechische entagros zurückgehen soll. Als deutsche Übersetzungen dafür sind die Ausdrücke unangetastet, unberührt, rein, unbefleckt, unbescholten, unbestechlich oder redlich gebräuchlich.

Das Wort „Integration“ wird heute in verschiedenen Zusammenhängen gebraucht, so z.B. in der Mathematik, als „Systemintegration“ in der IT, in „Integrierte Gesamtschule“ als Bezeichnung einer Schulform, oder in der politischen Sprache in „europäische Integration“ oder auch „Integrationspolitik“.

Historisch beginnt die Verbreitung des Ausdrucks „Integration“ in der Integralrechnung als mathematischer Fachbegriff. Hier bezeichnet sie das Verfahren der Zusammenfassung von berechenbaren Flächen zur Berechnung der Fläche unter einer Kurve. Die zunächst zerteilte Fläche wird dabei wieder zu einer Einheit zusammengefasst. Somit hier bezeichnet Integration die Wiederherstellung eines Ganzen bzw. einer Einheit.

Im politische Denken wurde der Ausdruck meines Wissens nach von Rudolf Smend in seiner Integrationslehre bekannt gemacht. Diese verfassungstheoretische Position des Staatsrechtlers Smend spricht der (Weimarer) Verfassung v.a. die Aufgabe zu „das deutsche Volk... immer von neuem zu einer politischen Einheit werden zu lassen" Dies sei eine Integrationsleistung, die für den Fortbestand eines Staates beständig erbracht werden müsse. Smend sieht die Integration als grundlegender Lebensvorgang des Staates an. Doch darüber hinaus verwendet er den Ausdruck „Integration" für weiter verschiedene Aspekte, die er so in diesem einen Wort zusammenbringt. Und er zeigt nicht, wie diese verschiedenen Bedeutungen in einem einzigen und eindeutigen Begriff definierbar sind. So spricht Smend von der persönlichen Integration als die Handlungen der einzelnen zur Teilnahme am politischen Leben als Gegensatz zur politischen Passivität, was sich nicht ohne weiteres unter den vorgenannten allgemeinen Integrationsbegriff subsummieren läßt. Dieses Problem setzt sich von da an im politik- und sozialwissenschaftlichen Gebrauch des Ausdrucks fort.

Auch in Parsons Theorie gesellschaftlicher Systeme ist Integration ein Zentralbegriff. Im bekannten AGIL-Schema ist sie eine von vier Funktionen, die für die Existenz und den Bestand eines Systems erfüllt werden müssten. Integration (auch harmonization) bezeichnet dabei die Fähigkeit eines Systems, Zusammenhalt und Einschluss herzustellen und abzusichern.

Sowohl Smends allgemeiner Integrationsbegriff wie auch Integration bei Parsons korrespondieren mit den traditionellen politischen Begriffen concordia, unity bzw. Einigkeit. Der Ruf nach Integration steht in einem Spannungsverhältnis zur Befürwortung der Pluralität. Einheit und Vielfalt schließen sich nicht grundsätzlich aus. Doch es ist eine Aufgabe der gesellschaftlichen bzw. politischen Selbstbestimmung einer Gemeinschaft, nach einer Verständigung über die Positionierung in diesem Feld zu streben. Diese Aufgabe besteht unabhängig davon, ob es Einwanderung in die Gemeinschaft gibt, denn auch im Umgang mit der jeweils nächsten Generation bedarf es der Integration um den Bestand der Gemeinschaft zu erhalten. Hier, wie auch im Umgang mit Zuwanderern, liegt die Verantwortung zum Gelingen der Integration vor allem bei der Mehrheitsgesellschaft. Diese muss den Hinzukommenden Angebote zum Eintritt in die Gemeinschaft machen und versuchen, ihre Grundvorstellungen der Art ihres Zusammenlebens zu vermitteln. Zudem muss sie sich um Rechenschaft dazu bemühen, welches Ausmaß von „Anderssein“ sie bereit ist als Neuerung, als Bereicherung in ihr Gemeinschaftsleben aufzunehmen.

Die Forderung hingegen, vor allem sollten sich die Hinzukommenden in das bestehende Gemeinschaftsleben integrieren, ist problematisch. Sie ist geeignet von der Verantwortung der Gesamtgesellschaft für die Integration abzulenken. Und auch der eifrigste Anpasser wird sich nicht integrieren können wenn er z.B. aufgrund seiner Herkunft, seines Akzentes oder seines Aussehens diskriminiert wird. Sicher bedarf es auch der Anstrengung der Hinzukommenden für das Gelingen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Aber ohne die Perspektive auf eine absehbare gleichberechtigte Mitgliedschaft in der Gemeinschaft wird sie niemals gelingen. Diese Perspektive muss die bestehende Gemeinschaft den Hinzukommenden eröffnen. Andernfalls darf sie nicht erwarten, dass diese sich als Teil der Gemeinschaft betrachten und sich an den Gepflogenheit der bestehenden Gemeinschaft orientieren werden. Daher wäre es wünschenswert, in Bezug auf Migranten in unserem Land weniger von Integrationsproblemen zu sprechen, sondern mehr von Versäumnissen in der Inklusion. Da aber Integration in diesem Zusammenhang ein etablierter Terminus ist, sollten wir uns darum bemühen, ihn entsprechend seiner ursprünglich Bedeutung zu verwenden und teilweise irreführenden Umdeutungen gegenüber kritisch zu sein.

Januar 2012