BW:Arbeitsgruppen/Landespolitik/Programmkommission/Kapitel 6 Inneres

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Inneres und Justiz

In der Vergangenheit wurden im Bereich der Sicherheitspolitik ineffektive Gesetze erlassen und gleichzeitig die Mittel für Polizei und andere Behörden gekürzt. Grundrechte wurden im Interesse einer „gefühlten Sicherheit“ eingeschränkt und die Überwachung hat zugenommen, ohne dass Sicherheit wirksam erhöht wurde.

Wir setzen uns für eine Sicherheitspolitik ein, die sich an den Bedürfnissen der Bürger orientiert und nicht an den Kontrollvorstellungen eines übermächtigen Verwaltungsapparates. Dazu gehört auch, dass Bürger die Möglichkeit haben, die Aktivitäten von Polizei, Verfassungsschutz und Justiz demokratisch zu kontrollieren.

Bürgerrechte und Datenschutz

Rücknahme von Grundrechtseinschränkungen durch das Polizeigesetz

Das baden-württembergische Polizeigesetz wurde in verschiedenen Punkten verschärft. So wurde das Aussageverweigerungsrecht eingeschränkt und die Polizei hat nun erheblich erweiterte Befugnisse, Menschen ohne konkrete Verdachtsmomente zu durchsuchen, persönliche Daten von Personen festzuhalten, zu sammeln und öffentliche Räume mit Videokameras zu überwachen.

Wir wollen diese Änderungen überprüfen und alle, mit denen Grundrechte unverhältnismäßig verletzt werden, wieder zurücknehmen.

Versammlungsfreiheit schützen

Die von der Landesregierung geplanten Verschärfungen des Versammlungsrechts bedrohen die freie öffentliche Meinungsäußerung. Zum einen werden dadurch höhere Hürden für die Organisatoren von Versammlungen aufgestellt. Zum anderen werden mögliche Teilnehmer an Versammlungen durch Maßnahmen wie Videoaufzeichnungen und Personenkontrollen vor Ort von einer Teilnahme abgehalten. Deshalb lehnen wir den allgemeinen und präventiven behördlich angeordneten Einsatz von Überwachungstechnologie bei Demonstrationen ab.

Wir sehen keinen Bedarf für strengere Regelungen und lehnen eine weitere Einschränkung des Versammlungsrechts ab. Die Angabe der persönlichen Daten aller Ordner verletzt Persönlichkeitsrechte. Die anonyme Teilnahme an Versammlungen in geschlossenen Räumen darf nicht beeinträchtigt werden. Störungen dürfen nicht grundsätzlich das Ende von Versammlungen bedeuten.

Die Möglichkeit zur Organisation von und Teilnahme an Versammlungen ist ein wichtiges Grundrecht. Deshalb unterstützen wir den Aufruf des Stuttgarter Bündnisses für Versammlungsfreiheit.

Verdachtsunabhängige Personenkontrollen

Bei verdachtsunabhängigen Personenkontrollen, z.B. bei der Schleierfahndung, werden häufig Menschen basierend auf ihrem Aussehen, ihrer vermuteten ethnischen Herkunft oder Religion zur Kontrolle ausgewählt. Dieses Vorgehen schafft ein gesellschaftliches Klima der Ausgrenzung, Einschüchterung, Diskriminierung und des Misstrauens.

Wir lehnen die Vorverurteilung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Aussehens ab. Dafür ist in einer aufgeklärten Gesellschaft kein Platz. Verdachtsunabhängige Personenkontrollen widersprechen außerdem dem Grundsatz der Unschuldsvermutung. Wir möchten deswegen die Möglichkeiten für verdachtsunabhängige Personenkontrollen sinnvoll einschränken.

Lockerung der Residenzpflicht

Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte garantiert das Recht auf Freizügigkeit. Deutschland ist der einzige Staat in Europa, der dieses für Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge einschränkt.

Die Residenzpflicht macht Menschen zu Kriminellen, nur weil sie sich frei bewegen wollen. Polizei, Gerichte und Behörden werden zusätzlich unnötig belastet. Ähnlich wie bereits in Bayern und Brandenburg wollen wir daher auch in unserem Bundesland die Residenzpflicht lockern.

Öffentliche Überwachung einschränken

Die zunehmende pauschale Videoüberwachung im öffentlichen Raum dient lediglich der gefühlten Sicherheit und greift unverhältnismäßig in die Privatsphäre der Menschen ein. Videoüberwachung kann Straftaten nicht verhindern, sondern höchstens verdrängen.

Wir lehnen den weiteren Ausbau der öffentlichen Überwachung strikt ab. Darüber hinaus sind aktuelle Maßnahmen der öffentlichen Überwachung kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls rückgängig zu machen.

Die Kosten für die Installation und die Überwachung der Kameras stehen zudem in keiner Relation zum Nutzen. Eine Neuorientierung hin zu effektiven Lösungen wie besserer Straßenbeleuchtung und mehr Polizeistreifen ist dringend erforderlich.

Keine automatisierte Kennzeichenerfassung

Obwohl das Bundesverfassungsgericht eindeutig klargestellt hat, dass eine verdachtsunabhängige, flächendeckende, automatisierte Kennzeichenerfassung zum Abgleich mit Fahndungsdaten nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, wird diese erneut diskutiert. Einen solchen massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte lehnen wir entschieden ab. Auch ein stichprobenartiger Abgleich ist für uns nicht akzeptabel.

Biometrische Daten

Wir lehnen die Erfassung biometrischer Daten ohne Anfangsverdacht sowie deren Speicherung ohne nachgewiesene Straftat kategorisch ab.

Informationspflicht gegenüber Betroffenen verdeckter Ermittlungen

Wer Ziel einer verdeckten Maßnahme der Polizei geworden ist, muss grundsätzlich nachträglich darüber informiert werden.

Die aktuelle Regelung im Polizeigesetz Baden-Württemberg besagt, dass Betroffene einer verdeckten polizeilichen Maßnahme unter anderem dann nicht informiert werden müssen, wenn seit der Beendigung der Maßnahme fünf Jahre verstrichen sind. Eingriffe in Grundrechte wie zum Beispiel die Unverletzlichkeit der Wohnung müssen aber rechtsstaatlich stets nachvollziehbar sein. Dazu sind Informationen über eine vergangene Maßnahme zwingend erforderlich. Das Gesetz ist dahingehend anzupassen.

Geschützte Bürger und unabhängige Justiz

Keine Privatisierung hoheitlicher Aufgaben

Das Gewaltmonopol des Staates darf nicht an Privatfirmen delegiert werden. Aufgaben der Polizei und des Strafvollzugs müssen vollständig in staatlicher Hand bleiben.

Abschaffung des freiwilligen Polizeidienstes

Der Polizeidienst eignet sich nicht für das Ehrenamt. Freiwillige Polizeibeamte erhalten derzeit nach wenigen Wochen Ausbildung annähernd die gleichen Befugnisse wie reguläre Polizisten. Sie tragen Uniform, dürfen ihre Schusswaffe benutzen und alle polizeirechtlichen Maßnahmen durchführen. Dies sollte nur vollausgebildeten Polizisten vorbehalten sein.

Eine gemischte Polizeistreife täuscht Sicherheit nur vor. Im Ernstfall kann der Hilfspolizist schnell zur Belastung werden, da er gar nicht oder falsch reagieren kann und so die Verantwortung bei dem Beamten alleine liegt. Auch für Einsätze wie Gewaltprävention an Schulen fehlt den freiwilligen Helfern oft die notwendige Qualifikation.

Bessere Ausstattung der Polizei

Um der Polizei die Erfüllung ihrer Aufgaben in einem vernünftigen Maße zu ermöglichen, muss die materielle und personelle Ausstattung verbessert werden. Die Anschaffung von Ausrüstung wie Fotoapparaten oder Schutzwesten kann nicht dem einzelnen Polizisten aufgebürdet werden. Gleichzeitig müssen ausreichend Beamte beschäftigt werden, um die Polizeiarbeit angemessen bewältigen zu können.

Polizeiarbeit im Internet

Wir möchten die Ausbildung und Ausstattung der Polizei für die Strafverfolgung im Internet verbessern. Dazu müssen zum Beispiel auch bestehende Möglichkeiten, Gesetzesverstöße im Internet zu melden, vereinfacht und ausgebaut werden.

Jedoch müssen auch im Internet die Grundrechte und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Eingriffe in private Kommunikation, etwa das Mitlesen von E-Mails, dürfen nur nach richterlicher Anordnung möglich sein. Das Einschleusen von Software in private Computer lehnen wir vollständig ab.

Stopp der Darstellung von Kindesmissbrauch im Internet

Wir wollen die Verbreitung von Bildern und Videos, die Kindesmissbrauch zeigen, wirksam verhindern. Deswegen muss die Polizei in der Lage sein, Beweise gerichtsfest zu sichern und unverzüglich die Löschung solcher Bilder und Videos von den Servern zu veranlassen.

Dazu werden wir bei Bedarf auch das Landeskriminalamt personell und technisch besser ausstatten. Den Aufbau einer Sperrinfrastruktur lehnen wir ab, da diese grundsätzlich die Gefahr birgt, für beliebige weitere Sperrmaßnahmen bis hin zur Zensur missbraucht zu werden.

Waffenrecht

Die Verschärfungen der Waffengesetze in den letzten Jahren dienten vor allem dazu, Sicherheit vorzutäuschen und einfache und schnelle Antworten auf komplizierte Probleme zu geben.

Wir setzen uns für Waffengesetze ein, welche die sorgfältige Aufbewahrung von Schusswaffen regeln und dadurch die Sicherheit aller Bürger gewährleisten. Wir lehnen es aber ab, die Sportschützen zu Sündenböcken für gesellschaftliche Probleme zu machen.

Eindeutige Kennzeichnung von Polizisten

Bei geplanten Veranstaltungen wie Demonstrationen oder Einsätzen bei Sportereignissen sollen Polizisten eine eindeutige Identifikationsnummer tragen.

Für den Fall unverhältnismäßiger Gewaltanwendung oder anderer gesetzeswidriger Handlungen durch Polizisten muss sichergestellt werden, dass deren spätere Identifikation möglich ist. Dabei sind die Persönlichkeitsrechte der Polizisten zu wahren. Im Fall einer Anzeige soll daher erst auf richterlichen Beschluss hin die Identifikation erfolgen. Hierfür ist ein geeignetes und praktikables Verfahren zur Verteilung der Identifikationsnummern und zu deren Gestaltung in Zusammenarbeit mit der Polizei zu entwickeln.

Unabhängige Ermittlungsbehörde zur Kontrolle der Polizei

Wenn bei vermuteten Gesetzesverstößen durch Polizisten andere Polizisten ermitteln, kommt es zwangsläufig zu Interessenkonflikten. Falsch verstandene Solidarität bei Kollegen oder Staatsanwälten kann dabei zur Vertuschung von Straftaten führen.

Eine neu einzurichtende unabhängige Behörde soll in Fällen von Beschwerden oder Strafanzeigen gegen Polizeibeamte die Ermittlungen übernehmen. Diese unabhängige Kontrollinstanz stärkt auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei.

Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften

Staatsanwälte sind an dienstliche Anweisungen ihrer Vorgesetzten gebunden. Dadurch besteht die Gefahr der politischen Beeinflussung von Strafverfahren. Um die Unabhängigkeit der Justiz und den Rechtsstaat zu stärken, wollen wir die Landesregierung gesetzlich verpflichten, von ihrem Weisungsrecht gegenüber den Landesstaatsanwälten keinen Gebrauch mehr zu machen. Insbesondere soll es keine Dienstanweisungen mehr geben, die sich auf einzelne Verfahren beziehen.

Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften

Wir sehen mit Sorge, wie durch eine nicht zu verantwortende Öffentlichkeitsarbeit einiger Staatsanwaltschaften die im Rechtsstaat verankerte Unschuldsvermutung zunehmend zu Lasten von Beschuldigten ausgehebelt wird. Deshalb wollen wir dienst- und strafrechtliche Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Staatsanwälten bei entsprechenden Verstößen verschärfen.

Bürgerfreundliche Verwaltung

Bürgerfreundliches eGovernment

Der Einsatz von Informationstechnologien in der Verwaltung erlaubt es Privatpersonen und Unternehmen, Amtsgeschäfte ohne Lauferei und Papierkrieg – auch außerhalb der Amtszeiten – abzuwickeln. Wir begrüßen diese Entwicklung und möchten sie weiter vorantreiben.

Wir möchten aber auch vor den Schattenseiten warnen. Eine umfassende, zentralisierte Datenverarbeitung erhöht die Abhängigkeit von technischen Systemen und birgt das Risiko von unbeabsichtigter Datenübertragung. Im Falle von sensiblen Daten besteht außerdem die Gefahr missbräuchlicher Datennutzung. Im Bereich des eGovernment ist es besonders wichtig, die Prinzipien Datensparsamkeit und Datenvermeidung zu beachten.

Wer keinen Zugang zu Informationstechnologien hat oder deren Nutzung verweigert, darf keine Nachteile haben.

Offene Dateiformate in der Verwaltung

Der Zugang zu veröffentlichten Informationen darf nicht davon abhängen, welches Computersystem jemand benutzt und ob spezielle Software gekauft oder installiert wurde. Wir werden dafür sorgen, dass die Verwaltungen des Landes und der Kommunen vollständig auf offene und standardisierte Dateiformate umsteigen. Dies vereinfacht den Datenaustausch zwischen den Behörden und mit den Bürgern.

Dadurch ergeben sich Einsparpotenziale, da freie Software ohne Lizenzgebühren verwendet werden kann. Da keine Abhängigkeit von einzelnen Herstellern besteht, sind offene Dateiformate zudem zukunftssicher. Offene und standardisierte Formate garantieren, dass Informationen auch langfristig lesbar sind.

Freie Software in der Verwaltung

Verwaltung und Behörden sollen bevorzugt freie Software einsetzen. Durch die Offenheit des Quellcodes gibt es keine Abhängigkeit von einem bestimmten Softwarehersteller. Dies verbessert die Möglichkeiten für spätere Anpassungen, wenn sich beispielsweise rechtliche Rahmenbedingungen ändern. Bei freier Software entfallen außerdem die Kosten für Lizenzgebühren.

Den kurzfristig höheren Kosten für Einarbeitungsaufwand bei freier Software stehen so mittel- und langfristig Einsparungen gegenüber. Wartungsverträge können mit Firmen vor Ort geschlossen werden, was die regionale Wirtschaft fördert.

Beibehaltung des Widerspruchsverfahrens

Das Widerspruchsverfahren gegen Behördenentscheidungen als Vorstufe zur Klage vor dem Verwaltungsgericht muss beibehalten werden, um das Justizsystem vor unnötiger Überlastung zu bewahren und ein flexibles und bürgernahes Handeln der Behörden weiterhin zu ermöglichen.

Pauschale Mindestentschädigung bei rechtswidrigen Verwaltungsakten

Durch rechtswidrige Verwaltungsakte entstehen für die Betroffenen immer wieder Nachteile. Wir wollen eine pauschale Mindestentschädigung bei solchen Maßnahmen einführen. So können Betroffene unbürokratisch entschädigt werden. Außerdem ist dies ein Anreiz für Behörden und Gesetzgeber, Verwaltungsvorgänge so zu verbessern, dass weniger Fehler passieren.

Eingeschränkte Datenherausgabe durch Kommunalverwaltungen

Eine Weitergabe von Meldeinformationen über Bürger ohne deren Einwilligung lehnen wir ab. Privatpersonen, Firmen, Kirchen, Parteien und andere Einrichtungen fordern von der kommunalen Verwaltung gegen geringe Gebühren Daten über Bürger ohne deren Einwilligung an, um diese zu privaten oder kommerziellen Zwecken zu verwenden. Diese Praxis widerspricht dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Stattdessen muss in Zukunft sichergestellt sein, dass die Erlaubnis der Bürger eingeholt wurde, bevor Informationen über sie herausgegeben werden. Wurde diese Erlaubnis erteilt, soll der Bürger auf Anfrage Informationen über die getätigten Abfragen erhalten und seine Erlaubnis jederzeit widerrufen können.

Zustimmung der Kommission