Moderieren ohne dabei verrückt zu werden (for dummies)

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Wie man #piratenpartei moderiert ohne dabei verrückt zu werden (for dummies)

Seit nunmehr sechs Jahren existiert der IRC Kanal #piratenpartei auf Freenode. Seither hat sich die Funktion des Kanals, die Art der Nutzung und Moderation und auch die Nutzerschaft teils stark verändert. Als einer der wenigen die seit Anfang an dabei waren und vor drei Jahren die AG Chat initialisiert und seither grundlegend begleitet hat möchte ich hier ein paar Erfahrungen und Gedanken notieren.

Geschichte

#piratenpartei gehört zu den ältesten Parteimedien überhaupt, wenn es nicht gar das Älteste ist. Er wurde (so die Sage) dazu genutzt die Gründung der Partei zu organisieren und später um Aktionen zu koordinieren, Erfahrungen auszutauschen und - besonders wichtig in der Anfangsphase - die Mitglieder und Sympathisanten der ganzen Republik persönlich näher zu bringen. Neben IRC wurde das Wiki schnell zum festen Bestandteil der Kommunikation, allerdings fehlten viele Werkzeuge die heute selbstverständlich sind - Mumble, Foren und Mailinglisten, Pads etc. - weswegen es auf der Hand lag sich vollständig auf diese zwei bewährten Medien zu verlassen. Freenode war als Dienstleister für #piratenpartei eine besonders glückliche Wahl aus mehreren Gründen. Zum einen musste sich niemand innerhalb der Partei sich um die Sicherheit und Stabilität des Dienstes kümmern (was teilweise äußerst kräftezehrend sein kann, besonders bei einer kleinen Organisation), zum anderen stellte Freenode Services bereit, die damals eine Besonderheit waren (nickserv, chanserv, namespaces) und zum dritten war und ist Freenode spezialisiert auf die Unterstützung von Open Source Software Projekten, deren Entwickler und Sympathisanten damals ganz eindeutig den Kern der Piratenpartei bildeten. Mir war damals schon die Bedeutung des Kanals für die Partei bewusst und nach einigen Monaten habe ich den Antrag bei Freenode gestellt auf die Registrierung der Gruppe mit dem entsprechenden Namespace. Diese Registrierung war ein Novum bei Freenode, da Politik eigentlich off-topic ist und keine andere Partei (und nur wenige politische NGOs) so registriert sind. Im Zuge der schicksalsweisenden Bundestagswahl 2009 erschienen auch viele neue Gesichter in #piratenpartei, und die Frage einer organisierten Moderation wurde drängender, da die bis dahin "der OP hat immer Recht" geltende Regelung immer stärker hinterfragt wurde und auch keine Kontinuität garantierte. Also wurde am 29.7.2009 die AG Chat gegründet mit eigener Satzung und Mitgliedsregelung. Diese Gründung lief nicht reibungslos ab, da es auch Befürworter der bisherigen laxen (bzw. nicht-existierenden) Moderation gab und bald die alternative AG Echtzeitkommunikation gegründet wurde um "freiere" Kommunikation auch in anderen Kanälen zu befördern. Es wurde aber bald klar, dass die Mehrheit der Nutzer von #piratenpartei die Moderation nach festen Regeln bevorzugten und die Beschwerden sich häuften wegen zu laxem Umgang mit Störenfrieden. Die Frage über die Mitgliedschaft in der AG und wer Moderator wird war außerdem in diesem Zuge mit Grund über die Gründung der AG Arbeitsgemeinschaften, welche es sich zur Aufgabe machte gemeinsame Regeln für alle AGs zu erarbeiten.

Die Gruppe "Piratenpartei" wurde schließlich nach 3 Jahren Bearbeitungszeit bei Freenode eingetragen, insbesondere weil sich die Partei eben auch für Freie Software einsetzt, seither bin ich offizieller Kontakt. Nach Streitigkeiten über den Status der AG und der Rechtmäßigkeit der Moderation erhielten dann Cochi und ich das Mandat für die Organisation vom IRC, das wir seither an die AG Chat delegieren.

Zustand der AG heute

Die Moderation von #piratenpartei obliegt der AG Chat, weswegen diese von besonderem Interesse ist. Der Zustand - Mitglieder, Regeln, Gewohnheiten - der AG heute ist größtenteils eine direkte Folge von konkretem Bedarf in der Vergangenheit. So ist z. B. der Fakt, dass

  • die AG so restriktiv mit ihrer Mitgliedspolitik ist Folge diverser Versuche von Leuten sich einzuschleichen und die Moderation zu sabotieren bzw. sich selbst zu inszenieren.
  • es zusätzlich zu #piraten-ag-chat auch #piraten-ag-chat-intern gibt die Folge von Störenfrieden, die Diskussionen über Sanktionen gegen sich sabotieren versuchten und Leuten, die diskreditierendes Material gegen die AG sammeln wollten.
  • die AG zwischen Mitgliedschaft und Moderatorenschaft trennt ebenfalls Folge von Versuchen sich "Macht zu ermogeln", wobei sich die reine Mitgliedschaft als Beobachter oder Proband zur Moderatorenschaft als sehr nützlich erwiesen hat.
  • es feste Treffen mit strikter GO und TO gibt die Folge einer Reihe von Kommunikationspannen, die es nur gab, weil nicht alle Beteiligten auf dem gleichen Stand der Dinge waren und sich derartige Pannen am ehesten durch synchrone Kommunikation vermeiden lassen - was natürlich eine gewisse Disziplin erforderlich macht.

Wie man moderiert

Die Moderation von #piratenpartei stellt große und besondere Anforderungen an den Moderator. Der Kanal hat einerseits den Anspruch für alle offen zu sein (was besonders bei Wahlen von sehr vielen Interessierten über das Webinterface genutzt wird), außerdem besteht der Anspruch politisch zu sein - was häufig zu einem Spagat führt zwischen Toleranz von kontroversen Meinungen und offener Provokation. Des weiteren wird der Kanal dazu genutzt Bekanntschaften zu schließen und sich einfach sozial zu betätigen - was zu häufig zu Profanität und Störung politischer Diskussionen führt, was dem ersten Anspruch entgegensteht. Diese widersprüchlichen Anforderungen werden dadurch befriedet, indem der Moderator Prioritäten für bestimmte Situationen setzt. Das Setzen der Prioritäten muss dabei in erster Linie berechenbar sein für die Nutzer um sich darauf einstellen zu können. Diese Berechenbarkeit der Prioritätsverschiebung ist deswegen wichtig, da es sonst zu Frustration und dem Vorwurf der Willkür (obwohl - hoffentlich! - jede Aktion durch die Regeln gedeckt ist) von Seiten der Nutzer kommt. Dabei muss dringend beachtet werden, dass es eine Trennung zwischen der Funktion des Moderators und der Meinung der Person gibt und diese Trennung möglichst auch durch den OP-Status sichtbar wird für die Nutzer. Das hat die für politische Diskussionen wichtige Funktion, dass Nutzer sich keinem Konformitätsdruck durch Machtsymbolik bezüglich ihrer Meinung zu einem Thema ausgesetzt sehen.

Wenn ein Moderator eingreift, wird häufig "Zensur!" geschriehen. Das ist besonders dann der Fall, wenn es sich um kontroverse Meinungen oder Themen handelt, die nicht in erster Linie bemüht werden um zu provozieren. Hier muss man etliche widersprüchliche Faktoren in Betracht ziehen:

  • Wird eine laufende halbwegs konstruktive Diskussion unterbrochen, verärgert man nicht nur die Teilnehmer sondern verunsichert auch potentiell an dem Thema Interessierte
  • Sind die konstruktiven Argumente ausgeschöpft und werden Argumente gegen die Person oder gar Beleidigungen verwendet, sind die Teilnehmer eher dankbar für einen Abbruch durch die Moderation
  • Geht die Diskussion von einer Person aus, muss abgeschätzt werden ob das Thema oder die damit verbundene Aufmerksamkeit im Vordergrund steht - falls die Aufmerksamkeit im Vordergrund steht, werden sehr wahrscheinlich andere Nutzer verärgert, die Bedürfnisse oder Themen haben die für sie wichtiger sind
  • Ist das Thema so kontrovers, dass eine Person die völlig neu dazustößt abstoßen könnte - insbesondere wenn es in den Medien präsent ist - kann auch die Außenwirkung der Partei darunter leiden
  • Man sollte darauf verzichten sich selbst unnötig Feinde zu schaffen indem man Personen *unversöhnlich* verärgert, da es die Moderation auf lange Sicht auf unterschiedlicher Weise beeinträchtigt

Wie man nicht verrückt wird