Benutzer:AndiPopp/ReSET

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Als der GP50 auf dem Parteitag angenommen wurde, da war ich zu aller erst tiefst enttäuscht. Der Grund dafür - so muss ich gestehen - lag weniger im Inhalt (da hatte ich auf den ersten Blick nichts dagegen) sondern schlicht und ergreifend an der Tatsache, dass er unter dem Themenblock "BGE" einsortiert war. Unter BGE verstand ich damals den Ansatz des Wirtschaftsesotherikers Götz Werner, dass man einfach nur irgendwie den Geldfluss anschieben müsste und dann hätten alle plötzlich mehr. Danach überraschte mich der Parteitag ein weiteres Mal, als er am nächsten Tag mit überwältigender Mehrheit der Meinung war, man hätte mit dem GP50 gar kein BGE beschlossen, was mich durchaus wieder mit dem Rest der Partei versöhnlich stimmte.

Kern der Forderung ist das Recht auf gesicherte Existenz und gesellschaftliche Teilhabe. Die Sozialpiraten sind angetreten diese Forderung mit Substanz zu füllen. Nun hat mich der Stream vom Treffen der Sozialpiraten allerdings ziemlich ernüchtert. Dort wurden bisher primär Zahlen geschubst und die komplette Frage darauf reduziert einfach nur irgendwie Einkommen unzuverteilen. Dies liegt wohl nicht zuletzt am GP50, der die Frage selbst bereits sehr stark auf das Einkommen fokusiert. In dieser Hinsicht dürfte wohl die Einordnung auf dem BPT gar nicht so falsch gewesen sein.

Je länger ich dem Zahlenschubsen zusehe, umso mehr habe ich den Eindruck, dass wir uns in altbackene politische Denkweisen versetzen. Es erinnert mich an Argumente wie "Von Hartz IV kannst dir ja nicht mal eine Zeitung am Tag leisten" oder "In Harzt IV steckt ein Euro für Kultur, das reicht ja nicht mal für einen Kinobesuch!" Hier möchte ich schreien: "Internet anyone?" Wir haben die größte Revolution der menschlichen Kommunikation seit der Erfindung des Buchdrucks vor uns, aber überlegen uns immer noch, wie sich ein Mensch eine Holz-Zeitung leisten kann? Da die Chancen der Ditigalen Revolution der Kern meiner Politik sind, möchte ich einen anderen Ansatz an das Ziel "Sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe" wagen.

Sichere Existenz

Das Ziel

Zur Vereinfachung betrachten wir die Ziele getrennt. Der erste Schritt muss an dieser Stelle eine konkrete Zieldefinition sein. Das dürfte in der Frage der sicheren Existenz recht leicht sein. Jeder Mensch hat Grundbedürfnisse. Darunter fallen sicher Dinge wie Essen, Wohnraum, medizinische Versorgung und ähnliches, der genaue Umfang dieser Grundbedürfnisse muss im Endeffekt aber durch eine andauernde politische Debatte abgesteckt werden.

Am besten wäre, wenn jeder seine Grundbedürfnisse selbst decken könnte. Bei jemandem der es ist nicht kann, ist der modernste Ansatz die Hilfe zur Selbsthilfe. Dennoch gibt es genug Leute die dies aus verschiedensten Gründen nicht können oder wollen. Wir wollen hier mit dem Inhalt des GP50 gehen, der den Staat als bedingungslosen Garant der sicheren Existenz sieht.

Die Instrumente

Bevor wir das nächste Recht anschauen wollen wir schon in diesem Kontext die Instrumente betrachten. Der GP50 schreibt in Absatz 2 Satz 3: "In unserer Geldwirtschaft ist dazu ein Einkommen notwendig." Dem muss ich sowohl zustimmen als auch widersprechen. Zwar ist es wohl praktisch nicht möglich, das Ziel ohne monetäres Einkommen zu realisieren, aber es gibt noch ein weiteres Instrument.

So kann man die Grundbedürfnisse ebenfalls durch staatliche Direktleistung befriedigen. Beispielhaft kann man sagen, dass ich einem Menschen Geld geben kann um sich Essen zu kaufen oder ich kann ich direkt das Essen geben. Staatliche Direktleistung gibt es z.B. bereits z.T. durch das staatliche Gesundheitssystem.

Der Ansatz wäre also folgender: Man baut einen "Warenkorb" der alle nötigen Leistungen für die Befriedigung der Grundbedürfnisse enthält. Aus diesem entfernt man die Leistungen, die vom Staat bereits als Direktleistung erbracht werden. Der Rest wird monetär bewertet (mit etwas Spielraum) und man erhält einen Geldbetrag, den wir hier das monetäre Existenzminimum nennen wollen. Als Instrument zur Garantie dieses monetären Einkommensminimums ist die (auch von den Sozialpiraten favorisierte) negative Einkommenssteuer nach Rhys-Williams und Friedman praktikabel.

Gesellschaftliche Teilhabe

Schwieriger wird die Zieldefinition bei der gesellschaftlichen Teilhabe. Die Tendenz die ich hier erkenne ist, letztere direkt über das Einkommen zu definieren, nach dem Motto je näher am Median-Einkommen umso mehr Teilhabe. So richtig will mir das nicht einleuchten.

Einkommen kann für Konsum und Sparen eingesetzt werden. Bei Sparen sehe ich keine Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabe und einen Menschen oder auch nur seine gesellschaftliche Teilhabe an seinem Konsum festzumachen, läuft meinem Menschenbild zuwider. Wenn wir gesellschaftliche Teilhabe einfach als Mindestanteil an der volkswirtschaftlichen Produktion definieren, dann kommen wir lediglich in die alten Neid- und Geizdebatten und das wirkt für mich mindestens so verstaubt wie das E-Mails ausdrucken.

Aus diesem Grund sei hier der Punkt gesellschaftliche Teilhabe in zwei Unterpunkte aufgespalten: öffentliche gesellschaftliche Teilhabe und private gesellschaftliche Teilhabe.

öffentliche Teilhabe

Öffentlichkeit ist dort, wo sich der Diskurs abspielt, der unsere Gesellschaft prägt, sei er politisch, wissenschaftlich oder kulturell. Die wichtigste Rolle spielen hier die staatlichen Prozesse und die Medien. Öffentliche Teilhabe bedeutet am öffentlichen Diskurs teilnehmen zu können, d.h. die öffentliche Meinung wahrzunehmen und mitzugestalten.

Dazu benötigt der einzelne Zugang zu den nötigen Informationen und zu Kanälen, über die er seinen Beitrag zum öffentlichen Diskurs beisteuern kann. Die offene Gesellschaft, wie sie von den Zielen der Piraten beschrieben wird, schafft diese gesellschaftliche Teilhabe. Das Verbot von Zensur verschafft Meinungen Gehör. Das Urheberrecht soll so reformiert werden, dass jeder freien Zugang zu Wissen und Kultur hat und selbige frei weiterbearbeiten und bereichern kann. Transparenz und politische Mitbestimmung, geben den Bürgern wieder Teilhabe an den staatlichen Prozessen. Bildung verschafft die nötigen Grundlagen.

Hier kommt das eingangs erwähnte Internet ins Spiel. Es ist die Schlüsseltechnologie für diese Ziele. Wir sollten nicht zurückgewandt über Zeitungen, TV und Radio nachdenken, sondern das Netz und alles was aus ihm entstehen kann und wird als unseren Maßstab nutzen. Das zu gehört klar, dass der Zugang zum Netz als elementares Grundrecht anzusehen ist. Damit hat die Piratenpartei sich das Recht auf öffentliche Teilhabe bereits im Kern auf die Fahnen geschrieben.

private Teilhabe

Nach dem Pathos des vorherigen Abschnitts, wollen wir in diesem Teil noch einmal auf den Boden der Tatsachen zurückkommen. In der privaten Teilhabe geht es jetzt nicht um die öffentliche Meinung, sondern darum, dass jeder die Möglichkeit haben soll, Teil eines sozialen Umfelds zu sein, in dem er sich wohl fühlt, einer "Peer Group".

Eine solche Peer Group hat häufig eine Art sozialen Anker, eine Gemeinsamkeit die einen verbindet und den Kontakt aufrechterhält. Dies kann das abendliche Rollenspiel sein, das Kicken auf dem Bolzplatz, der Diskobesuch oder dass man die Familie mal zum Essen einlädt. Viele Leistungen, die solche sozialen Anker möglich machen, kann man durch staatliche Direktleistungen erbringen (z.B. gemeinnützige Vereine oder der in vielen Partei-Verbänden geforderte fahrscheinlose Nahverkehr), aber es wird auch immer ein monetärer Aufwand entstehen.

Hier müssen wird erneut zu Transferleistungen greifen und zumindest einen kleinen Betrag für soziale Kontakte zur Verfügung stellen, der mit der monetären Existenzssicherung (negative Einkommenssteuer) ausbezahlt werden kann. Natürlich kann man damit nicht den Zugang zu allen möglichen Peer Groups bereit stellen, aber zumindest für niederfrequente, einfache und günstige soziale Aktivitäten sollte es ausreichend sein.

Was wird aus dem Konsum?

Weit hin zur sog. Mitte der Gesellschaft kommt der Empfänger von Transferleistungen nicht mit selbiger. Meiner Meinung nach, soll er das auch nicht. Ein gewisser Arbeitsanreiz sollte im System bestehen bleiben. Aber wir müssen gleichzeitig auch bedenken, dass das Instrument der negativen Einkommenssteuer auch hier das Paradigma ändert.

Für die nötigste Bedürfnisse (Existenz und gesellschaftliche Teilhabe) ist durch die Transferleistung gesorgt. Da ein eventuelles Einkommen nun nicht mit der Transferleistung verrechnet wird sondern (versteuert) oben drauf kommt, kann derjenige nun selbst mit geringer Leistung bereits direkt mehr Konsumieren. Er arbeitet quasi tatsächlich vom ersten Euro an "für sich". Das halte ich für zumutbar.

Fazit

Ich wollte mit diesem Text den Versuch wagen, eine klare Zielvorstellung an Stelle der allgemeinen Schlagwörter zu definieren. Ob es mir gelungen ist, muss jeder Leser für sich selbst entscheiden. Wenn wir uns zumindest über das Ziel klar sind, denke ich können wir mit dem Zahlenschubsen wieder beginnen und ich würde mich freuen, wenn die bisher aktiven hier auch weiter daran arbeiten.

Mir ist in den vielen Diskussionen und beim Schreiben dieses Textes auch aufgefallen, dass hier vielleicht auch der Kern des Streits zwischen den "BGE"-Gegnern und den Befürwortern liegt. Die Gegner sind sich ziemlich sicher genau so darüber im Klaren, dass Hartz IV eine denkbar schlechte Lösung für die soziale Frage ist und sie können sich vielleicht durchaus mit einem Alternativinstrument wie der negativen Einkommenssteuer anfreunden. Der Knackpunkt ist wohl eher der Gedanke, dass jemand den Großteil aller seiner fortgeschrittenen Bedürfnisse ohne Arbeit auf Kosten der Allgemeinheit befriedigt. Vielleicht reizt die Befürtworter ja auch der Gedanke, dass Arbeit aus freien Stücken und in selbst gewähltem Umfang diese fortgeschrittenen Bedürfnisse befriedigt, statt eine Transferzahlung.

Ob dieser Ansatz nun einen breit akzeptablen Konsens darstellt oder nicht, hoffe ich dennoch, dass mein Beitrag die Debatte voranbringt.